D a s   K i n d e r k a r u s s e l l

Das Kinderkarussell

Das Kinderkarussell auf dem Jahrmarkt war schon sehr alt und nicht mehr hübsch anzusehen. Es erfüllte zwar seinen Zweck, doch das blau-gelb-gestreifte Zeltdach war schon verblichen und überall blätterte die Farbe ab. Die Fußbodendielenbretter knarrten und drohten durchzubrechen, so morsch waren sie mittlerweile mit den Jahren. Der Motor ächzte und dröhnte, dass man glauben konnte, er würde jeden Moment still stehen. Am schlimmsten aber waren die schön geschnitzten Holztiere dran. Ein Jammer, wie die aussahen. Sie waren so groß wie echte Tiere: ein Schwein, ein Bär, ein Schwan, ein Elefant, ein Delfin und ein Pferd. Doch sie sahen alle traurig drein.
Der Besitzer des einst so schönen Karussells hatte nicht viel Geld, um alles zu pflegen und neu herzurichten. Ehrlich gesagt – er hatte auch keine große Lust dazu.
Das Karussell hatte er von seinem Vater übernommen und der von seinem Vater und so weiter.
Immer waren sie hin und her gezogen, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und das bei jedem Wetter, ein ganzes Leben lang.
Und so sah das einst schöne Kinderkarussell aus: altersschwach und hässlich, ein Wunder, dass überhaupt noch Kinder mitfahren wollten.
Irgendwann musste es stillstehen, wenn nichts passierte.

Das herrliche, starke Pferd war dunkelrot gestrichen mit weißen Beschlägen und Zaumzeug. Dem Bär fehlte eine Vorderpranke, dazu war er gelb angemalt, der Schwan war dunkelblau, der Delfin weiß und der Elefant grün. Das Schwein, dem auch der Ringelschwanz fehlte, war lilafarben .
Immer wenn ein wenig Farbe da war, wurden die Tiere damit ein wenig ausgebessert, manche waren auch schon fleckig.

Tagsüber drehte sich das Karussell ständig im Kreis, die Tiere drehten sich mit ,immerzu mit kurzen Pausen. Dann läutete eine helle Glocke , die Kinder stiegen ab und die neuen auf und langsam, ganz langsam, kam wieder alles in Fahrt.
Manche Kinder jauchzten, manche waren ganz still, einige hielten sich ganz fest und wieder andere hatten Angst.
Manchmal war ein Kind auch wagemutig und stand während der Fahrt auf oder setzte sich verkehrt herum auf das Tier. Dann mussten die Eltern eingreifen oder der Karussellinhaber.
Doch das kam selten vor und meist ging alles im alten Trott.
Immer im Kreis.

Nachts, wenn es auf dem Jahrmarkt stiller geworden war, die Besucher sich verlaufen hatten, rollte der Besitzer die Zeltwände herunter und verschnürte sie fest, dann wurde es ganz dunkel auf dem Karussell.
Doch da erwachten die Tiere und es kam Leben in die Bude.
Das Pferd schlug zuerst die Augen mit den langen Wimpern , es reckte und streckte sich auf, dann bäumte es sich auf. Aber es stieß gleich an das Zeltdach.
Der Bär blieb erst mal liegen, er gähnte, grunzte und putzte sich mit seinen Tatzen das gelbe Fell.
Der Schwan schlug mit den Flügeln und das Schwein beschwerte sich gleich darüber:
„ Mach bloß nicht so einen Wind! Nicht nur, dass man mir den Ringelschwanz gestohlen hat“ , plapperte es weiter“ man hat mich auch lila angemalt und ich muss wie ihr immer im Kreis fahren, bis mir schwindlig wird, das hält kein Schwein aus!“
„Mich hat es wohl am schlimmsten getroffen“, trompetete der grüne Elefant
„sonst marschiere ich durch den Urwald und durch die Steppe und fresse jeden Tag herrliches grünes Gras und Blätter. Jetzt bin ich selbst grün, wahrscheinlich vor Ärger.

Der Schwan protestierte heftig:
Ich bin am schlechtesten dran, keine Wasser, keine Schnecken, keine Muscheln, ich bin ein armes Schwein“.

„Na, na“ , ließ das Schwein sich wieder hören „ wir hatten alle schon ein schöneres Leben, als wir geschaffen wurden und im neuen Glanz da standen. Schaut uns doch heute an, ein dunkelblauer Schwan, dass ich nicht lache“.
„Untersteh dich zu lachen“ , entrüstete sich der Schwan, dann lache ich über ein lila Schwein, so etwas gibt es doch gar nicht in Wirklichkeit!“
So redeten sie lange Zeit miteinander und klagten ihr Leid.

Eines Abends kam der kleine Sohn des Karussellbesitzers vorbei und hörte Stimmen. Er erschrak, blieb jedoch stehen und lauschte. Erst dachte er, dass sich Fremde dort eingeschlichen hätten.
Vorsichtig spähte er durch einen Spalt des Zelttuches.
Da erkannte er, dass die Tiere sprachen und sich über ihr Schicksal beklagten.
Da erschrak er noch mehr und wurde doch neugierig, dort zuzuhören.
Er spitzte die Ohren und kam ganz leise noch dichter heran.
„Das Karussell ist ganz schön dreckig“, grunzte das Schwein „sie könnten es wenigstens sauber machen!“
„Und wer kratzt uns die dicke Farbschicht ab“? wollte das Pferd wissen
„ein dunkelrotes Pferd, dass ich nicht lache, eher ist es zum Weinen“. Und aus den großen, dunklen Augen flossen auch gleich ein paar Tränen.
„Eine Schande ist das!“ trompetete der Schwan „Seht und doch nur an!“
Und so jammerten sie weiter, ohne zu merken, dass sie belauscht wurden.
Nachdenklich schlich der Junge fort.
Zuerst wollte er niemandem etwas davon erzählen, weil er glaubte, die Anderen würden über ihn lachen.
Später erzählte er seinem Vater davon, der aber nur erwiderte:
„Das hast du geträumt oder im Fieber erlebt, das ist doch Kinderkram!“
Damit war für ihn die Sache erledigt.

Doch der Junge dachte immer wieder darüber nach.
Er selbst hatte große Freude und Spaß daran, wenn andere Kinder auf dem Karussell mitfahren wollten. Am liebst wäre er auch noch öfter mitgefahren.

Eines Tages, als der Vater nun älter geworden war, sagte er zu seinem Sohn:
„Ich habe das Karussell von meinem Vater geerbt und der hat es auch von seinem Vater geerbt, nun sollst du es haben. Es ist nicht mehr viel wert, doch es ernährt gerade seinen Mann. Willst du es weiterbetreiben ?

Der junge Mann, der er mittlerweile geworden war, nickte.
Da schossen ihm auch die Sorgen und Nöte der Tiere in den Sinn. Viel Geld dafür hatte er genau so wenig übrig wie sein Vater.
Doch er wollte es unbedingt besser machen als er.

Zuerst begann er, den alten Motor auszubauen und zu reparieren.
Er kaufte neuen Stoff für das Zelt nach dem alten Muster und nähte mühevoll das Zeltdach und die Seitenwände.
Dann erneuerte er die alten Dielenbretter, das Kassenhäuschen und danach kamen die Tiere dran.
Er schmirgelte und schabte die alte Farbe ab, strich und malte das Pferd, den Delfin, den Schwan, das Schwein, den Bären und den Elefanten an und lackierte sie. Sie sahen alle aus wie neu. Er reparierte auch das Zaumzeug und schnitzte sogar einen Ringelschwanz für das Schwein. Dazu baute er eine alte Drehorgel ein, die Kinderlieder spielte.
Als alles fertig war, betrachtete er sein Werk von allen Seiten und war zufrieden.

So fuhr er zum Jahrmarkt, baute das Karussell wieder auf und die Kinder liefen in Scharen zu diesem alten herrlichen neuen Karussell.
Der neue Besitzer freute sich darüber, dass die Kinder begeistert auf den Tieren saßen und im Kreis fuhren. So manches Kind strahlte über das ganze Gesicht.

Und nie wieder hörte der junge Karussellbesitzer, dass sich irgend jemand beschwert hätte.
Wenn er abends am dunklen Zelt vorbeiging, spitzte er wie früher die Ohren, doch die Tiere schwiegen still.

Karussell

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